Dirk Aaron Bohl in der Presse | Das Personalmagazin hat mich als Experten zum Thema Unternehmenskultur und Cultural Fit interviewt. Lesen Sie mehr zur Kunst der erfolgreichen Personalsuche: Strategien, Tipps und Tricks …
Der Cultural Fit erhält im Recruiting immer mehr Bedeutung. Einigen Arbeitgebern ist es sogar wichtiger, dass jemand die Normen und Werte ihres Unternehmens teilt, als dass die fachlichen Anforderungen hundertprozentig erfüllt sind. Doch wie sieht das bei Managementpositionen aus? Personalberater Dirk Aaron Bohl über kulturelle Passung im Executive Search.
Interview Daniela Furkel
Personalmagazin: Wie wichtig ist der Cultural Fit bei der Besetzung von Managementpositionen? Sticht die kulturelle Passung die fachliche Eignung?
Dirk Aaron Bohl: Der Trend geht tatsächlich in diese Richtung. Bei allen Top-Positionen ist der Cultural Fit essenziell. Es gibt hierzu auch Studien, etwa von KPMG: 92 Prozent aller befragten CEOs gaben an, dass die Unternehmenskultur einen starken Einfluss auf das EBIT hat. Allein daran sieht man, wie hoch das Thema aufgehängt ist. Deshalb sagen wir: Neue C- und D-Level Managerinnen und Manager müssen zur Kultur passen, zu den Werten, aber auch das Leadership-Team ideal ergänzen.
Für wie viele Unternehmen ist der Cultural Fit überhaupt ein Kriterium bei der Besetzung von Managementpositionen?
Er wird nicht überall stringent als Auswahlkriterium eingesetzt. Wenn ich von meinen Mandanten ausgehe, achten deutlich mehr als zwei Drittel gezielt darauf – weil ich einen Fokus auf die kulturelle Passung lege und von Firmen beauftragt werde, denen diese wichtig ist. Mit Blick auf die gesamte Unternehmenslandschaft glaube ich, dass die meisten Arbeitgeber zwar sagen, dass der Cultural Fit wichtig ist. Aber ich habe den Eindruck, dass nicht mehr als die Hälfte sich professionell damit befasst.
Können Sie ein Beispiel aus eigener Erfahrung nennen? Was kann passieren, wenn die kulturelle Passung fehlt?
Ich kann Ihnen zwei Beispiele geben: In meiner früheren Tätigkeit, als ich im Angestelltenverhältnis im Management tätig war, gab es einen Wechsel auf der obersten Geschäftsführer-Ebene. Dieser war ein kompletter Cultural Misfit, was dazu führte, dass die Werteausrichtung abrupt in eine andere Richtung ging. Man hat sich professionell getrennt – unabhängig von jeglichen fachlichen Themen. Das zweite Beispiel ist aus der jüngsten Vergangenheit. In einem laufenden Mandat kam ein neuer Geschäftsführer an Bord, der sehr werteorientiert agiert. Der bestehende Bereichsleiter hat eine komplett andere Ausrichtung. Das führte dazu, dass der Neue in der zweiten Interviewrunde die vorselektierten Kandidaten aussortieren musste, da diese nicht zur künftigen Unternehmenskultur passten. Schlimmer wäre es gewesen, wenn der Neue diese einseitig geprägten Kandidaten eingestellt hätte. Das führt zu Karrierebrüchen, zu unnötiger Verschwendung von Geld und Ressourcen, möglicherweise zu einem Imageschaden und zu einer fehlgeleiteten Unternehmenskultur.
Wie gehen Sie beim Erheben des Cultural Fit vor? Welche Methoden wenden Sie an?
Die Unternehmenskultur ist immer schön in Visionen, Werten und Zielen festgeschrieben und auf den Firmenwebseiten veröffentlicht. Aber das ist nur die halbe Wahrheit, wenn überhaupt. Entscheidend ist, wie die Kultur täglich vom Top-Management gelebt wird. Dieses nimmt eine Vorbild-Rolle ein und besteht aus unterschiedlichen Persönlichkeiten. Jeder und jede hat Lebens-Motive, Werte, Verhalten, Wahrnehmungen und Wirkungen auf das Umfeld. Daran mache ich die Kultur fest. Ich befrage die einzelnen Personen in persönlichen Interviews. Um die Persönlichkeit transparent zu machen, nutze ich zudem Psytest-Tools basierend auf dem Big-Five-Modell oder das Führungsstil-Profil. Zusätzlich beleuchte ich die Kultur nach Werten und Normen. Hierfür gibt es probate Mittel wie den Kulturmatcher von Cyquest oder die Kulturwertanalyse von Greple. Damit schaffe ich eine Grundlage, auf der man objektiv diskutieren kann. Manchmal nutze ich das Organisationsentwicklungs-Tool Nine Levels of Value System. Damit kann ich weiter in die Tiefe gehen – immer abhängig davon, wie weit man mir entgegenkommt.
Wie geht es dann weiter?
Wenn ich das mit dem Board of Management oder zumindest mit einem oder zwei relevanten Stakeholdern gemacht habe, habe ich einen Grundstein gelegt, auf dem man objektiv diskutieren kann. Aber das ist nur die Bewertung der Ist-Situation. Das Unternehmen will ja nicht stehen bleiben. Deshalb befrage ich die relevanten Personen, in welche Richtung sie das Unternehmen entwickeln wollen. Ich bin maximal auf das Entgegenkommen und die Transparenz des Unternehmens angewiesen. Je nach Offenheitsgrad habe ich die Chance, tief einzutauchen oder eben nicht. Man kann sich auch die Bewertungen auf Kununu und anderen Plattformen ansehen und erhält einen ersten Eindruck. Daran sieht man auch, ob die Werte und Visionen des Unternehmens kongruent zur Innen- und Außenwirkung sind.
Die Personen, die Sie im Top-Management befragen, müssen bereit sein, einiges an Zeit zu opfern.
Da schließt sich der Kreis. Ich habe vorhin die 92 Prozent der CEOs genannt, die sagen, dass Cultural Fit für ihr Unternehmen wichtig ist. Leider machen sich nur wenige die Mühe, das Thema ernsthaft anzugehen. Die Konsequenzen sieht man in der Presse, wenn wieder von Vorstandsmitgliedern die Rede ist, die ihre Verträge nicht verlängern. Ich stoße immer wieder an Grenzen. Oftmals werden diese von Top-Managern gezogen, die sich nicht in die Karten schauen lassen wollen. Bei diesen Personen frage ich mich, warum sie das tun. Bei solchen Mandaten stochert man im Nebel, kann nur mutmaßen und öffentlich zugängliche Informationen nutzen. Das will ich ausschließen – auch, um den
Wechsel abzusichern und die maximale Passung zur Kultur und zum Leadership-Team zu garantieren.
Wie gehen Sie auf Kandidatenseite vor?
Auf Basis von Zielfirmen suche ich Kandidatinnen und Kandidaten. Wenn ich diese noch nicht in meinem Netzwerk oder in der Datenbank habe, muss ich prüfen: In welcher Kultur sind sie heute beschäftigt und welche Historie bringen sie mit? Jede dieser Personen durchläuft bei mir drei oder vier Profilings: Persönlichkeitsprofil, Leadership-Profil, manchmal den Kulturmatcher und ein Tool zur Erstellung eines psychometrischen Stärkeprofils. Ich habe auch ein Tool entwickeln lassen, das macchiavellistische oder narzistische Tendenzen transparent macht. Es gilt, toxische Führungskräfte zu minimieren, weil sie die Unternehmenskultur extrem belasten, manchmal sogar konterkarieren. Die relevanten Persönlichkeitsmerkmale der Kandidatinnen und Kandidaten stellen die Grundlage für die Auswahl dar. Das Haupt-Augenmerk liegt weiter auf dem persönlichen Interview mit Analyse der Kernkompetenzen.
Die aktuelle Geschäftsklima-Befragung des BDU ergab, dass der Wechselwille der Kandidatinnen und Kandidaten merklich zurückgegangen ist. Wird es damit auch schwieriger, Personen zu finden, die sich so ausführlich durchleuchten lassen wollen?
Nicht jeder lässt sich gern durchleuchten. Aber ich garantiere damit, den Wechsel bestmöglich abzusichern und einen Mismatch möglichst auszuschließen. Damit begeistere ich tatsächlich jede Kandidatin und jeden Kandidaten. Ich habe es nur zweimal erlebt, dass sich jemand geweigert hat. Eine Person habe ich nach intensiver Argumentation gewinnen können, die andere hat abgelehnt. Auch das ist in Ordnung. Ich zwinge niemanden, biete das nur an. Der Aufwand ist nicht groß. Natürlich nehmen sie sich Zeit, die Fragebögen auszufüllen. Aber ich sage, es lohnt sich. Wenn die Kandidatinnen und Kandidaten sehen, dass ich die Passung als Maß der Dinge ansehe, bekommen sie ein gutes Gefühl. Sie erhalten nebenbei ein Persönlichkeitsprofil, was auch für sie als persönliche Wasserstandsmeldung interessant ist. Und sie sehen mit Blick auf ihre Weiterentwicklung, welches Unternehmen zu ihnen passt und woran sie das festmachen können.
Ist Cultural Fit im Management manchmal nicht sogar innovationshemmend – wenn jemand das genau gleiche Mindset mitbringt, als Kopie des bisherigen Managements?
Das genau ist der Punkt: Es soll nicht das bestehende Management geklont, sondern mit Blick auf künftig benötigte Fähigkeiten ergänzt werden. Die Unternehmenskultur mit ihren Werten und Normen ist das Fundament. Dann kommt es auf die unterschiedlichen Ausprägungen in der Leadership-Kultur und Ausrichtungen in der Agilität an. Hierfür betrachte ich das Management-Board und sehe, wo die Schwerpunkte liegen, wer aus der Reihe tanzt und was zusätzlich an komplementären oder supplementären Fähigkeiten benötigt wird – auch mit Blick auf die künftigen Pläne. Diese Transparenz hilft ungemein, die richtigen Personen zu finden. Bei jedem Search stehen drei bis vier Kandidatinnen und Kandidaten auf der Shortlist. Alle haben das beschriebene Profiling durchlaufen. Danach gehen wir in die fachliche und die menschliche Validierung.
Das Interview ist zuerst im Personalmagazin, Ausgabe 06/2023, erschienen.